Ein digitales Kinderspiel

Im Gespräch mit Prof. Ulrich Götz über den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und ethischen Grundsätzen in der Entwicklung von Games für Kinder.

Nija Nikolic
dreipol

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Wir haben bei dreipol in den letzten Jahren vermehrt Games für ein jüngeres Zielpublikum entwickelt. Dass wir damit kein einfaches Terrain beschreiten, war uns stets bewusst: Zu den Sorgen der Eltern — sollen die Kinder wirklich noch mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen? — gesellen sich rechtliche Vorgaben sowie ein bereits umkämpfter Markt. Hinzu kommt die Schwierigkeit, den Nerv der Kinder zu treffen. Was eine Zweijährige begeistert, unterfordert einen Vierjährigen bereits. Und letztlich macht das, was die Eltern als sinnvoll erachten den Kleinen nicht unbedingt Spass. Kurz: Digitale Spiele für Kinder sind ein kontrovers diskutiertes Thema.

Wir haben Prof. Ulrich Götz, Leiter der Fachrichtung Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK), zu einem Gespräch getroffen. Unser Ziel: Herausfinden, was digitale Unterhaltung kindergerecht(er) macht und wie die Industrie mit dieser Herausforderung umgeht.

Der Begriff des «Lernspiels»

Meistens erscheinen im Zusammenhang mit Kinder-Games Ausdrücke wie Lernspiele, Serious Games oder Applied Games. Diese Begriffe werden verwendet, um zu suggerieren, dass ein Spiel nicht auf Unterhaltung ausgelegt ist, sondern ein ernstes Thema behandelt und das Kind in irgendeiner Form ‘weiterbringt’.

«Die Bezeichnung für Spiele mit einem anderen Schwerpunkt als Unterhaltung hat sich von Serious Games hin zu Applied Games gewandelt. Seit ein paar Jahren findet man den Ausdruck vorwiegend in Kombination Serious & Applied Games», erklärt Götz.

Ein Spiel als Serious & Applied Game zu bezeichnen, ist noch kein Garant dafür, dass die Spiel-Mechanik einen Lerneffekt erzeugt. Jedoch besitzen viele der Serious & Applied Games einen wissenschaftlichen Nachweis. Auch wenn hier die Frage nach der Signifikanz aufkommt, lässt sich mit Blick auf die Natur und das Tierreich nicht abstreiten, dass das Spielen das Lernmedium schlechthin ist.

Alt genug für Videospiele

Götz findet es grundsätzlich sinnvoll, Kinder durch den Einsatz von analogen Spielen und Spielzeug früh mit Logik in Berührung zu bringen, zum Beispiel mit Lego oder Duplo. Dabei sind motorische Aspekte genauso wichtig wie die kognitiven Fertigkeiten und sollten kombiniert geübt werden.

Weniger gut schneiden digitale Spiele in seiner Beurteilung ab: Spiele auf dem Smartphone mit repetitiven Swipe-Gesten über die Glasscheibe sind wenig förderlich für die motorische Entwicklung eines Kindes. Zu bevorzugen sind Spielzeuge, welche neben den haptischen und logischen Aspekten auch die Kreativität ansprechen.

Also striktes Smartphone-Verbot für den Nachwuchs? «Nein!», sagt Götz. Man sollte Kinder trotzdem nicht davon abgrenzen. «Kann man auch nicht, denn digitale Spiele ziehen sich als kulturelles Medium durch alle Schichten der Gesellschaft durch.»

Berührungspunkte gibt es viele, zum Beispiel wenn Eltern oder ältere Geschwister mit dem Smartphone hantieren oder wenn Klassenkamerad:innen von ihren Erlebnissen damit erzählen.

Folgen von übermässigem Spielen im Kindesalter

Je nach Game werden bestimmte Fähigkeiten trainiert, wie Reaktionsgeschwindigkeit und Kombinationsgabe. Bei übermässigem Spielen jedoch bleibt Kindern keine Zeit für wichtigere Entwicklungen, wie jene der motorischen Fähigkeiten, sozialen Kompetenzen oder des Sprachvermögens.

Hinzu kommt, dass Kinder ihr Spielverhalten nicht reflektieren. «Sie neigen dazu, solange zu spielen, bis sie von äusseren Einflüssen zu einem Stopp gezwungen werden», erklärt Götz, «Dazu muss man sagen, dass sich die Spiele in den letzten Jahren stark weiterentwickelt haben. Sie schaffen immer bessere Motivationsanreize und erhöhen den Unterhaltungsfaktor, auch wenn das Spiel eine unbeschränkte Altersfreigabe geniesst.»

Gutes Beispiel hierfür ist das Videospiel «Fortnite», dessen Entwicklerstudio im Oktober 2019 verklagt wurde. Mit der Hilfe von Psycholog:innen soll das Spiel für Kinder im Alter zwischen zehn und 16 Jahren so perfektioniert worden sein, dass die Suchtgefahr mit jener von Drogenkonsum vergleichbar wurde.

Das moralisch fragwürdige Geschäft mit den Kindern

Neben der in «Fortnite» angewandten Strategie gibt es, gerade im mobilen Bereich, noch extremere Geschäftstaktiken, bei welchen Geldtransaktionen in sogenannten Free-to-play-Spielen normal sind. Wenn, wie im Fall von «CoinMaster», Vertreter:innen der Glücksspiel-Lobby ein Spielstudio gründen, um neue Absatzmärkte zu erschliessen, sollte das zu denken geben. Die kindliche Aufmachung, die simple Steuerung, die Kategorisierung als «Adventure Game» und die tiefe Altersfreigabe lassen Kinder solange am einarmigen Banditen ziehen, bis sich das Ersparte der Eltern unwiderruflich in digitales Monopoly-Geld verwandelt.

Solange kein echtes Geld gewonnen werden kann, wird ein Game rechtlich nicht als Glücksspiel definiert. «Diese und andere Grauzonen werden von erfolgreichen, aggressiven Playern der Spieleindustrie immer mehr ausgelotet», folgert Götz.

Gesetzlich gegen Missbrauch

Auch wenn Kinder stellenweise besser geschützt sind als Erwachsene, beispielsweise durch das Tracking-Verbot der COPPA, gibt es keine Instanzen, welche suchtgefährdende Anreize überprüfen. Es gibt zwar diverse Organisationen, die eine Bewertung zu Spielen abgeben, wie ESRB, USK oder PEGI. Ihre Einschätzungen sind rechtlich aber nicht verbindlich und hinken der Industrie hinterher.

Gerade weil digitale Spiele auf der ganzen Welt zugänglich sind, ist es schwierig, einen Konsens zur globalen Rechtsgültigkeit zu finden. Die Meinungen, was für Kinder geeignet ist, gehen schon demografisch stark auseinander.

Hinzu kommt das breite Angebot an Kinderspielen. Bei der derzeitigen Fülle sind umfassende Untersuchungen durch eine unabhängige Instanz nicht verlässlich möglich. So wird es vermutlich weiter die Aufgabe der Eltern bleiben, sich im Dschungel von Empfehlungen, Ratgebern, Awards und Review-Seiten über Spiele zu informieren und ihre Kinder aufzuklären.

Rezept für ein kindergerechtes Spiel

Wie nun aber kindergerechtere Spiele entwickeln? Für ein sinnvolles Spielerlebnis müssen gemäss Götz oben erwähnte Punkte beachtet und verbessert werden. Ein Spiel sollte mehr Kompetenzen als nur die kognitiven fördern und das Spiel muss Spass machen, aber nicht süchtig. Jedoch bleibt hier die Frage bestehen, wie man so mit einer Konkurrenz mithält, die mit ihren Spielen den Kindern die komplette Aufmerksamkeit und Bindung abverlangt und sie in einen Feedback Loop einbindet, um den Effekt noch zu verstärken.

Es bleibt zu hoffen, dass rechtlich wirkende Kontrollorgane aufholen, bis dahin bleibt es in der Verantwortung der Spielentwickler:innen, dass sie den Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und ethischen Grundsätzen schaffen.

Über Ulrich Götz

Professor Ulrich Götz ist Leiter des Fachbereichs Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste. In Forschung und Entwicklung beschäftigt er sich besonders mit dem Bereich der Serious & Applied Games. Als Projektleiter zahlreicher internationaler Kooperationsprojekte verfolgt er die Entwicklung von Serious & Applied Games im medizinischen, therapeutischen und edukativen Umfeld.

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